«Entschuldigung!» – was ist denn so schlimm daran?

     


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    Sich für historisches Unrecht öffentlich zu entschuldigen, sei seit den 90er Jahren üblicher geworden, lese ich kürzlich in einem Artikel. Ich lese darüber, wer alles schon um Entschuldigung gebeten hat: Der Papst für die Inquisition, Bill Clinton für den Sklavenhandel, die Schweiz für die Einlagerung des Nazigolds oder Australiens Premier Kevin Rudd 2008 bei den Natives in Australien für ihre Unterdrückung und die Trennung der Kinder von ihren Eltern. Immer wieder zeigt sich, woran sich Gesellschaften erinnern (wollen) und woran nicht oder wie lange es dauert, bis es soweit ist. Ich lese, dass politische Entschuldigungen sowohl als Ausdruck politisch-moralischen Fortschritts als auch als «zivilreligiöse Bussrituale» gedeutet werden, und mich interessiert, unter welchen Bedingungen sie zur Versöhnung beitragen.

    Tja mit der Entschuldigung ist es in der heutigen Zeit so eine Sache. Das kleine Wort gehört zusammen mit «Bitte» und «Danke» zur Dreifaltigkeit des Miteinanders und ist enorm effizient. Aber bleiben wir mal bei «Entschuldigung». Dies ist für gewisse Menschen und Firmen schon Herausforderung genug. Ich habe je länger je mehr den Eindruck, das Wort «Entschuldigung» im alltäglichen Umgang kommt aus der Mode. Zumindest fällt es vielen wahnsinnig schwer – selbst dann, wenn das, was sie verbockt haben, offensichtlich ist und sich gar schwarz auf weiss nachlesen lässt – machen sie einen schmalen Mund und finden tausend Ausreden. Wir haben da Vorbilder auf höchster Ebene. Nicht besser sind die (grossen) Firmen, die grossartig ihren Service rühmen und sich dann spitzfindig auf den Standpunkt stellen, dass, das, was nicht funktioniert hat «ausserhalb unseres Einflussbereiches» liegt. Bekomme ich im Restaurant nicht das von mir bestellte Getränk, schiebt der Kellner mir den schwarzen Peter zu: «Sie haben das aber nicht bestellt». Auch wenn ich ihm dann nochmals versichere, dass dies ein Irrtum seinerseits sei, beharrt er auf seinem Standpunkt und ergänzt lapidar: «Wir sind halt unterbesetzt». Dabei hätte eine Entschuldigung und ein freundliches Lächeln gereicht, und ich hätte mich mit dem nicht von mir bestellten Getränk sogar zufriedengegeben. Es wäre manchmal so einfach – mit einem simplen «Sorry» könnten man so viel Energie sparen.

    In früheren Zeiten sagte man «Ich bitte um Entschuldigung». Heute macht man es sich leichter: Man entschuldigt sich nur indirekt, indem man erklärt, einzelne Menschen oder Gruppen seien «verletzt worden» oder jemandem sei «zu nahegetreten» worden. Das Phänomen der «verletzten Gefühle» zieht sich durch die Geschichte der öffentlichen Kritik an Unternehmen und Einzelpersonen. Es mag ja sein, dass es in jedem dieser Fälle auch Menschen gab, die durch bestimmte Formulierungen verletzt wurden, aber dies entschuldigt nicht eine ehrliche Entschuldigung. Das Eingeständnis eines Fehlers oder Versagens ist nicht sehr angenehm. So bittet man heute bevorzugt nicht für sich selbst um Entschuldigung, sondern für den Fehler. Man tut also so, als sei der Fehler ein eigenständiges Wesen, ein Hündchen, das nicht sauber pariert hat. Da erklärt uns zum Beispiel die Lautsprecherstimme der SBB, dass aufgrund irgendwelcher Bauarbeiten mal wieder alles anders komme als geplant, und schliesst mit den Worten: «Wir bitten die entstehenden Unannehmlichkeiten zu entschuldigen». Das ist psychologisch sehr raffiniert. Nicht die Leitung der SBB soll entschuldigt werden, sondern die bösen, bösen Unannehmlichkeiten. Bei denen liegt die Schuld, folglich können auch nur sie entschuldigt werden.

    Das alles ist Ihnen zu haarspalterisch? Dann bitte ich Sie, um Entschuldigung! Aber es ist doch so: Wer sich falsch verhält und einen Fehler macht, der entschuldigt sich. Niemand ist davor gefeit und es ist auch nichts Schlimmes. Sich zu entschuldigen, zeugt von Grösse. Denn wer sich entschuldigt, nimmt dem säuerlichen Gegenüber dem Wind aus den Segeln. Dies lernen schon meine kleinen Neffen. Sie haben das relativ schnell begriffen und so enden ihre Differenzen – nach einer kurzen Erklärung des «Tatbestandes» durch die Eltern – mit einer Entschuldigung inklusive eines Küsschens für den Betroffenen. Eine wirklich schöne Geste. Eine Entschuldigung, die vollständig und ohne Rechtfertigung geschieht und von ganzem Herzen kommt, verbunden mit einem Lächeln, ist doch etwas Selbstverständliches und etwas Schönes – für mich jedenfalls.

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

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