«Wir wollen im Kleinen Grosses bewirken!»

    Das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz HEKS lebt tagtäglich die Vision einer gerechten Welt, in der alle Menschen in Würde und Sicherheit leben können. Direktor Peter Merz sieht seine Arbeit als Privileg und schätzt die Vielfalt der Aufgaben mit all ihren Facetten und Herausforderungen. Hier gibt er Einblick in die spannende Arbeit im Dienste der weniger privilegierten Menschen hier in der Schweiz wie auch im Ausland.

    (Bilder: HEKS) HEKS-Direktor Peter Merz möchte sich weiterhin so dezidiert für die Rechte aller Menschen und die Bewahrung unserer Welt einsetzen.

    Im November 2021 erfolgte der Zusammenschluss von HEKS mit Brot für alle zum Hilfswerk evangelischer-reformierten Kirche Schweiz. Was bedeutet dieser Schritt konkret für HEKS?
    Peter Merz: Als eines der grossen Schweizer Hilfswerke muss sich HEKS heute in einem sehr kompetitiven Umfeld, in dem zunehmend auch zahlreiche ausländische Nichtregierungsorganisationen mittun, behaupten. Da macht es sicher Sinn, die Kräfte zu bündeln. Mit der Fusion können wir zudem das bisherige entwicklungspolitische Engagement von Brot für alle in idealer Weise mit der konkreten Programm- und Projektarbeit von HEKS im In- und Ausland verknüpfen und so wertvolle Synergien schaffen.

    Seit über 75 Jahren engagiert sich HEKS für die Schwächsten. Wie hat sich das Los der notleidenden und benachteiligten Menschen auf der ganzen Welt wie auch im Besondern in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten verändert?
    HEKS hatte nie den Anspruch, mit seiner Arbeit gleichsam die ganze Welt retten zu können, sondern wir wollen «Im Kleinen Grosses bewirken», in dem wir mit unserer Arbeit dazu beitragen, die Lebensumstände möglichst vieler Menschen nachhaltig zu verbessern. Dies gelingt uns immer wieder – unser Engagement zeigt also durchaus positive Wirkung. Gleichwohl ist auch eine Tatsache, dass sich weltweit die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet, dass weltweit über 80 Mio. Menschen auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Verfolgung sind, dass Menschen aufgrund ihrer Ethnie, ihrer Religion oder ihres friedlichen gesellschaftspolitischen Engagements diskriminiert oder sozial ausgegrenzt werden. Die Arbeit wird uns also sicher nicht ausgehen und unsere Vision einer gerechten Welt, in der alle Menschen in Würde und Sicherheit leben können, hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren.

    Was sind die Schwerpunkte der entwicklungs- und gesellschaftspolitischen Arbeit von HEKS?
    In unserer entwicklungs- und gesellschaftspolitischen Arbeit fokussieren wir auf die Schwerpunkte Klimagerechtigkeit, Recht auf Land und Nahrung, Flucht und Migration sowie Integration. Bei Themen und Fragestellungen in diesen Bereichen beziehen wir öffentlich Stellung, wir betreiben Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit und wir lancieren oder unterstützen Kampagnen und Projekte im In- und Ausland.

    Um die Integration von geflüchteten Frauen zu fördern, pachtet HEKS in verschiedenen Regionen Familiengarten-Parzellen und bewirtschaftet diese zusammen mit den Migrantinnen. Die Gärten sind sozialer Treffpunkt und Arbeitsort zugleich, wo sich die Teilnehmerinnen in deutscher Sprache austauschen können.

    Wie sehen die Prioritäten für die Agenda 2022 von HEKS aus?
    HEKS ist auch nach der Fusion international ein kleiner Player. Für eine professionelle und wirkungsvolle Programmarbeit brauchen wir deshalb zusätzlich zu nationalen Partnerorganisationen oder Kirchenpartner immer mehr auch internationale NGO-Partner und Allianzen in Netzwerken, um zusätzliche Programmmittel zu akquirieren und beispielsweise auch Zugang zu EU-Geldern zu erhalten. Die Programmarbeit in anspruchsvollen und fragilen Kontexten muss zudem immer höheren Standards der HEKS-internen Compliance- und Security-Richtlinien wie auch den Vorgaben der Auftraggeber genügen. Das verlangt unter anderem einen weiteren Aufbau von Fachkompetenz und zusätzliche Investitionen in die Schulung der Mitarbeitenden und Projektteilnehmenden. Eine permanente Herausforderung dabei ist, die Kosten für den Ressourcen- und Kompetenzaufbau sowie die weiteren Verwaltungskosten und Kommunikationskosten in einem akzeptablen Verhältnis zur Programmumsetzung zu halten. Diesbezüglich gilt es auch für HEKS, die digitale Transformation aktiv voranzutreiben.
    Weiter kommt der Konkurrenzfähigkeit unserer Inland-Programmarbeit hohe Bedeutung zu. Hier sind wir mehrheitlich auf Dienstleistungsaufträge angewiesen, da fallen dann auch die Lohnkosten und Programm-Nebenkosten stark ins Gewicht. Programmentwicklungen in der Inlandarbeit verlangen klare fachliche Positionierungsnischen und zukunftsfähige Businesslösungen für unsere Angebote, wie beispielsweise bei der Rechtsberatung in der Bundesasylzentren oder den Dolmetschdienste von «HEKS Linguadukt». Unser Fundament ist neben den internationalen und nationalen Auftraggeber eine sehr treue und solidarische Gemeinschaft von Menschen und Institutionen, die unsere Arbeit mit grossem Interesse begleiten und auch finanziell unterstützen. Und da möchte ich explizit auch die Landeskirchen und die verschiedenen kirchlichen Institutionen erwähnen. Dieses Fundament gilt es stabil zu halten und weiter auszubauen. Mit neuen Angeboten wie etwa den «KlimaGesprächen» wollen wir auch die jüngere Generation ins Boot holen.

    Wo unterstützt HEKS primär in der Schweiz?
    Mit seiner Inlandarbeit unterstützt HEKS benachteiligte Menschen bei der sozialen Integration, fördert so die Chancengleichheit und steht Asylsuchenden und anderen sozial Benachteiligten mit Rechtsberatung zur Seite. In der Schweiz betreibt HEKS sechs regionale Geschäftsstellen, die in 13 Kantonen über 60 Projekte verantworten. Dank dieser lokalen und regionalen Verankerung weiss HEKS um die Lebensumstände benachteiligter Menschen. HEKS ist bestrebt, sie vor Diskriminierung zu schützen und die Gewährleistung ihrer Rechte zu ermöglichen.

    Hat die Pandemie die Spendenfreudigkeit der Menschen beeinflusst?
    Die grosse Solidarität der Schweizer Bevölkerung mit jenen Menschen im In- und Ausland, die von der Pandemie besonders hart getroffen werden, beeindruckt und berührt mich immer wieder sehr. Diese Solidarität manifestiert sich auch im sehr erfreulichen Spendenergebnis der vergangenen Jahre.

    «Hilfe zur Selbsthilfe» ist ein wichtiges Schlagwort in der Philosophie von HEKS. Wie gut funktioniert das in der Praxis wirklich?
    Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe im Kriegs- oder Katastrophenfall oder auch die Unterstützung von sozial benachteiligten Menschen in der Schweiz sind nur nachhaltig, wenn sie darauf abzielen, dass die Menschen früher oder später ihren Lebensunterhalt wieder selber bestreiten und ein selbstverantwortliches und selbstbestimmtes Leben führen können. Es gibt viele positive Beispiele dafür, etwa Indien, wo sich HEKS vor kurzem nach einem sechs Jahrzehnte währenden Engagement zurückgezogen hat, im Wissen, dass die dort geleistete Arbeit Früchte getragen hat und von unseren lokalen Partnerorganisationen auch ohne unsere Unterstützung weitergeführt wird. Ehrlicherweise muss man aber auch anerkennen, dass es immer Menschen gibt, die aus unterschiedlichen Gründen ein Leben lang auf Unterstützung angewiesen bleiben.

    Sie sind seit fünf Jahren Direktor. Was ist für Sie die besondere Herausforderung Ihres Amtes respektive was schätzen Sie an Ihrer Arbeit?
    Anlässlich der verschiedenen Aktivitäten zum 75-Jahr-Jubiläum von HEKS im vergangenen Jahr wurde mir einmal mehr bewusst, dass wir Grund haben, stolz zu sein auf unsere bewegte Geschichte und auf das, was wir gemeinsam mit unzähligen Personen, die sich über die Jahrzehnte für HEKS engagierten, erreicht haben. Für mich ist es ein Privileg, als Direktor von HEKS arbeiten zu dürfen. Ich schätze die Vielfalt der Arbeit mit all ihren Facetten und Herausforderungen wie die Pandemie, die Digitalisierung, die anspruchsvolle Kostenstruktur oder die bereits erwähnte Fusion. Die Fusion mit Brot für alle hat mir einmal mehr die Wichtigkeit des Dialoges mit den kirchlichen Partnern aufgezeigt. Dieser Dialog verdient auch künftig mein Augenmerk und Engagement. Anspruchsvolle Führungs- und Managementaufgaben in einer breit aufgestellten Organisation wie HEKS sind für mich Motivation und Herausforderung zugleich. Wichtig und sehr bereichernd erlebe ich den regelmässigen Kontakt mit den Mitarbeitenden und den Projektpartnern in den Programmländern und in den Geschäftsstellen in der Schweiz.

    Was wünschen Sie sich für das HEKS-Jahr 2022?
    An der Schwelle zu den nächsten 75 Jahren wünsche ich mir für HEKS, dass wir uns weiter so dezidiert für die Rechte aller Menschen und die Bewahrung unserer Welt einsetzen. Und dass es uns gelingt, in einem kritischen Dialog und durch konkrete Taten an einer besseren Welt für alle Menschen mitzubauen. Natürlich gelingt dies nur gemeinsam mit allen unseren Unterstützerinnen und Unterstützer und deren grosszügiger Solidarität. Die erhoffe ich mir auch in den nächsten Jahrzehnten.

    Interview: Corinne Remund


    Die Geschichte von HEKS

    Am Ende des Zweiten Weltkrieges rief der Evangelische Kirchenbund die Schweizer Bevölkerung zu Spenden auf, um der notleidenden Bevölkerung im kriegsversehrten Europa beizustehen. Die Solidarität war riesig. Um das Geld effizient einzusetzen, richteten die Kirchen eine Stelle ein, welche die Hilfsaktionen organisierte und koordinierte. Daraus entstand am 1. Januar 1946 das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz HEKS. Heute unterstützt HEKS mit insgesamt über 60 Projekten in sechs regionalen Geschäftsstellen und in 13 Kantonen benachteiligte Menschen bei der sozialen Integration, fördert die Chancengleichheit und steht Asylsuchenden und anderen sozial Benachteiligten mit Rechtsberatung zur Seite.

    CR

    www.heks.ch

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